kpw-photo: Sozialdokumentarische Photographie
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Hausbesetzung in Göttingen 1981 - Prager Schule und Clochard
Zum historischen Kontext
Sozialdokumentarische Notiz

Es ging um einen Gebäudekomplex in der Innenstadt Göttingens zwischen Burgstraße, Ritterplan und Jüdenstraße; der Kern war ein Gebäude an der Burgstraße und Ritterplan, in dem die "Prager Schule" und die Disco "Clochard" untergebracht waren. Zwischen diesem Gebäude, das einmal als Veranstaltungsort errichtet worden war, und dem grüngestrichenen Fachwerkhaus an der Jüdenstraße lagen weitere Gebäude. Genauere Beschreibung kommt noch.

Ansicht bei Google Maps

Durch die große Fläche an den Hausrückseiten war es ein attraktives Baugelände.

Der Komplex wurde im Dezember 1980 besetzt und als Wohnraum und Kulturzentrum genutzt.

Das Bild zeigt das Gebäude an der Jüdenstraße; das Hauptgebäude lag dahinter.

 
Öffentlichkeitsarbeit
Dieses Bausparglück entsprach (noch?) nicht den Lebensentwürfen der Besetzer ..

.. wie sie hier zum Ausdruck gebracht wurden.

Kraak dir was - Hinweis auf die damals berühmten Kraaker in den Niederlanden.

Deckenfenster im Jugendstil. Zwischenzeitlich stand das Gebäude unter Denkmalschutz, der dann aber wegen "schlechter Bausubstanz" aufgehoben wurde. Die Deckenfenster waren durch Zwischendecken verdeckt und kamen erst zum Vorschein, als der Abriß beschlossene Sache war.

Trotz dieses "Basta"-Statements wurde bald geräumt.

Ob der Hauptdarsteller der "Rot-Grün"-Tragicomedy 1998 bis 2004 zu Berlin das "Basta" hier aufgeschnappt hat, ist unwahrscheinlich, da er nach dem Studium Göttingen schon verlassen hatte. Vielleicht wurde es über den Umweltminister vermittelt, der damals solche Aktionen (noch) unterstützte.

 
Historischer Kontext der Hausbesetzung
 

1981 regierte in Bonn noch die SPD/FDP-Koalition, die sich bei der Bundestagswahl 1980 gegen den Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß behauptet hatte. Von der Aufbruchsstimmung 1969 hatte sich die Regierung schon lange verabschiedet; 1982 wurde Kanzler Schmidt dann von Kohl per Mißtrauensvotum abgewählt und die Wende offiziell, die 1983 bei der vorzeitigen Bundestagswahl bestätigt wurde.

Im politischen Spektrum links von der SPD hatte sich die 68er (Studenten-)Bewegung längst erschöpft; sich revolutionär verstehende "Avantgarden" befanden sich in Auflösung, während sich im Zuge der Anti-AKW-Bewegung neue Kräfte entwickelt hatten, von denen ein Teil die gerade entstehende Partei "Die Grünen" stützte. Im Unterschied zu den sechziger Jahren gab es aber eine recht große "alternative Szene", die so unterschiedliche Strömungen wie die Autonomen, Spontis, undogmatische Linke und vielerlei Lebensreformer umfaßte.

In Göttingen hatte sich nach der Mescalero-Affäre 197? ein universitätsnahes linkes Spektrum erhalten, das politikfähig war und dies bei der hier behandelten Hausbesetzung bewies. Teil der Szene war auch das Untergrund-Radio "Radio Pflasterstein". Dieser Hausbesetzung waren einige andere wie die der "Augenklinik" vorhergegangen, die sich auf Gebäude gerichtet hatten, die durch den Umzug der verschiedenen Universitätskliniken frei geworden waren. Nach der Räumung vom 4. Februar, die von recht umfänglichen Demonstrationen nicht verhindert werden konnte, gab es noch einige kürzere Aktionen im Zuge von Abriß-Neubau-Vorhaben etwa an der Weender Landstraße oder der Friedrichstraße. - Zur Hausbesetzung 2015 f wird es einen eigenen Beitrag geben.

 
Am 4. Februar 1981 wurde alles geräumt und unbenutzbar gemacht. Der Abriß begann: geräumt und zugemauert.

Der zugemauerte Eingang in der Jüdenstraße wurde zum Hauptmotiv und Symbol.

Vielleicht auch, weil (für Göttinger) wieder eine Protestwelle vorbei war: Studentenbewegung, Anit-AKW-Bewegung im Kampf um die Bauplätze, Hausbesetzungen.

Es entstand der "parlamentarische Arm" der Prostestbewegung, die Grünen, die sich dann zur zweiten Partei der Besserverdienenden entwickelten.

Und das Göttingen in Deutschland liegt, darf das Schild "Betreten der Baustelle verboten. Eltern haften für ihre Kinder"

Das grosse Gebäude der Prager Schule und des Clochards mit der Front an der Burgstrasse
Ecke Burgstraße/Ritterplan
Front am Ritterplan: das umkämpfte Grundstück reicht von der Burgstraße bis zu Jüdenstraße
 
Aus: Carola Gottschalk (Hrsg). Göttingen zu Fuß. VSA, Hanburg 1992, S. 21 und 22.
 
 
 
Jetzt wird gekraakt. "Kraaker" meint eine zeitgenössische Hausbesetzerbewegung in den Niederlanden.
 
 

Während die Abrißarbeiten noch liefen, gab es in der Galerie Apex eine Ausstellung zum Thema; die Plakate paßten gut zum Bauzaum.

Siehe: Annelie Heinevetter; Thomas Born: Friede den Hütten - Krieg den Palästen. In: Fotografie. Heft 16/1981, Göttingen 1981, S. 41- 49. - Enthält Bilder und Texte, auch der Aktiven, und einen Beitrag von Sybil Wagener.

 
 
Nach der Räumung: Eingang zur Prager Schule.
Die West-Version von "Trümmer schaffen ohne Waffen"
 
Burgstraße - Ecke Ritterplan
Keine Samthandschuhe.
 
 
 
Die Solidarität kann dem Abrißbagger nicht trotzen.
Es geht zu Ende.
 
Die Formel der Wut
Die Schildbeschriftung deutet die zukünftigen Probleme an, Baukunden aus der Hausbesetzerszene zu bewinnen
Es ist vollbracht.
Blick Richtung Ritterplan und Alte Feuerwache.
 
Der Gegenschuß von der Burgstraße in Richtung Jüdenstraße
Die überlebenden Häuser an der Ecke Ritterplan/Jüdenstraße
 
Neubau an der Jüdenstraße
Ecke Burgstraße/Ritterplan
 
Der Blick 2006 auf die Ecke links zum Ritterplan, schräg rechts die Jüdenstraße. Die beiden Rest-Häuser sind renoviert.
 

Sozialdokumentarische Notiz

Die Bilder 1981 sind als Kleinbild-Dias aufgenommen worden und für die Web-Site digitalisiert worden. Da die laufenden Kosten beim Fotografieren recht hoch waren, gibt es nur recht wenige Aufnahmen. Innenaufannahmen oder Bilder von der Demonstration gegen die Räumung fehlen in meinem Bestand ganz; das hat technische wie soziale Gründe.

Der Fotograf stand außerhalb des Kreises der Hausbesetzer. Die gewachsenen Kontakte aus der Studenten(bewegungs)zeit hatten sich nach vierjähriger Abwesenheit stark reduziert; in diesem Sinne hatte ich eine (sympathisierende) Beobachterrolle.

Die Bilder hatten seinerzeit auch keinen Adressaten und waren sicher kein Fall von "eingreifendem Fotografieren" (dazu später mehr in einem systematischen Text). Interesse fanden die Bilder erst, als sie via Internet zugänglich waren, und sie für Zwecke des Rückblicks genutzt werden konnten. Siehe etwa "Radio Pflasterstein"

 
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